Vorwort des Distriktoberen

Liebe Gläubige, Freunde und Wohltäter!

Unser Herr Jesus Christus hilft uns durch vielfältige Gleichnisse, die grossen Wahrheiten des Glaubens zu verstehen. Nach seinem Vorbild quellt auch die Geschichte der Kunst an symbolischen Darstellungen über, die versuchen eine Idee zu vermitteln, die in der Reichweite eines jeden liegt und darauf abzielt, möglichst verständlich zu sein. 

Man kann das auch von den Tugenden sagen, besonders von der Tugend der Klugheit, worüber ich in diesem Text ausführlicher sprechen möchte. Die Tugend der Klugheit ist symptomatisch für gewisse komplexe und verkannte Realitäten, die aber von grösster Notwendigkeit und Wichtigkeit sind.

In zahlreichen und prachtvollen Darstellungen wird die Klugheit als Frau abgebildet, die in einer Hand einen Spiegel und in der anderen eine Schlange hält. Manchmal wird sie auch mit einem doppelten Gesicht dargestellt: ein jugendliches, das in die Zukunft blickt und ein greisenhaftes, das seinen Blick in die Vergangenheit richtet. Diese Attribute können uns auf den ersten Blick befremden. Aber mit einigen Erklärungen werden sie zum besseren Verständnis dieser Kardinaltugend beitragen.

Die Tugend der Klugheit stand schon immer im Zentrum des christlichen Lebens. Unter den Kardinaltugenden nimmt sie den Platz eines Ritters ein, der die anderen Tugenden zum ersehnten Ziel – zum Guten – führt. Die Tugend richtet unser sittliches Handeln nach Gott aus. Der heilige Augustinus fasst es treffend zusammen: „Die Klugheit - das ist die Liebe, die zwischen Hilfreichem und Widrigem weise wählt.“

Sie nimmt folglich einen wichtigen Platz in unseren heutigen Zeiten ein. Tatsächlich, je mehr die Widerwärtigkeiten und das Böse überhand nehmen, desto mehr muss die Tugend in uns wachsen, um der Situation gewachsen zu sein. Das gilt in besonderem Mass für die Tugend der Klugheit, weil sie unser Handeln lenkt und leitet. Deshalb wollen wir uns ein wenig mit ihren symbolischen Attributen auseinandersetzen und schauen, welche Lehre wir daraus für unser alltägliches Leben ziehen können.

Das erste Attribut ist die Schlange. Man könnte auf den ersten Blick in diesem Tier ein Symbol für das Übel und den Teufel sehen, vor allem im Hinblick auf das Buch Genesis, wo der Sündenfall beschrieben wird. Es ist wahr, dass die Klugheit uns das Übel besser erkennen lässt, um uns dagegen zu wappnen, und uns zugleich unsere schlechten Neigungen zeigt, um uns davon zu korrigieren.

Diese Interpretation scheint sich aber nicht völlig mit unserem Vorhaben zu decken. Vielmehr mahnt uns Jesus im Evangelium, klug wie die Schlangen zu sein (Mt 10,16). Damit will er uns sicher nicht zum Bösen anleiten, sondern uns dazu bringen, über gewisse gute Eigenschaften dieses Tieres nachzudenken und dieselben in unserm Handeln nachzuahmen.

Die Schlange ist besonnen, vorsichtig und überaus geschmeidig! Die Schlange ist oft zurückhaltend, manchmal äusserst bedächtig, aber auch fähig blitzartig auf ihr Opfer zuzugreifen, ohne ihm die geringste Chance zu lassen. Ein kluger Mensch zeichnet sich dadurch aus, dass er mit Umsicht den günstigen Augenblick aussucht, um dann richtig zu handeln. Er räumt jedem Ding seinen Platz und seine Zeit ein.

Der heilige Paulus erläutert es uns vortrefflich: „Ich laufe daher, aber nicht ins Ungewisse: ich kämpfe, aber nicht wie einer, der bloss Luftstreiche ausführt“ (1 Kor 9,26). Der Kluge steckt sich ein Ziel und ergreift die Mittel, um es zu erlangen: Das ist die höchste Stufe der Klugheit, die uns so Not tut in einer Welt, die uns durch ihre Oberflächlichkeit zu zerstreuen sucht, und in welcher Unentschlossenheit und steter Meinungswechsel herrschen. Unsere Epoche besitzt so viele Mittel, um uns jeden Sinn für die Klugheit verlieren zu lassen. Lassen wir uns nicht in diesen Strudel hinabziehen, sondern beschränken wir uns vielmehr auf das Notwendige und Wichtige. Wir müssen unsere Kräfte auf das Wesentliche bündeln.

Das zweite Attribut der Klugheit, das wir in diesen Allegorien betrachten können, ist der Spiegel. Auch hier können wir von vornhinein eine Erklärung ausschliessen, die uns vielleicht als erstes in den Sinn kommen könnte: Der Spiegel steht hier nicht für eine eitle Selbstbetrachtung. In unserem Fall steht er nicht als Symbol für die Eitelkeit, sondern vielmehr für eine Gewissenserforschung, die der Weise jeder Handlung voranstellt. Dazu können wir passend den Propheten Isaias zitieren (32,4): „Das Herz der Bestürzten kommt zur Einsicht.“

Bei gewissen Gemälden widerspiegelt sich im Spiegel der Himmel, die Unendlichkeit. Der erste Gedanke unserer Überlegungen vor jeder Handlung sollte sein: Was sind ihre Folgen in Bezug auf mein ewiges Heil? Steht mein Handeln mit dem göttlichen Gesetz in Übereinstimmung? In allen Dingen schau auf das Ende! Dieser Reflex sollte uns zur zweiten Natur werden, aber er lässt sich so leicht verlieren, wenn wir vergessen, selbst unsere geringsten Handlungen immer wieder auf Gott zu richten.

Der Spiegel reflektiert ebenfalls unser Herz und unser Gewissen. Er ist ein Symbol für eine notwendige und objektive Gewissenserforschung! Unsere Schwächen und Fehler, als auch unsere Qualitäten zu kennen, ist eine unerlässliche Notwendigkeit, wenn wir im Guten fortschreiten wollen. Gewiss, die Grundlagen bleiben für alle dieselben; aber es liegt an jedem einzelnen, sich besser kennen zu lernen, damit er weiss, wie er sie am besten auf seine persönliche Situation anwenden kann, indem er lernt, welche Gefahren es zu meiden gilt, um nicht vom guten Weg abzudriften.

Der Spiegel gibt uns sodann auch eine objektive Sichtweise der Wirklichkeit und deren Umstände. Der Spiegel gibt uns bisweilen im Alltag knallhart unser Abbild wieder. Oft würden wir das, was wir sehen, lieber abändern oder verschönern… Damit laufen wir aber Gefahr in einer Illusion zu leben: Wir betrachten die Wirklichkeit so, wie wir sie uns gerne vorstellen und nicht so, wie sie wirklich ist. Wenn es Zeiten gibt, wo wir am liebsten fern von der Realität leben möchten, dürfen wir mehr denn je den Spiegel nicht aus der Hand legen.

Schliesslich kommen wir noch zum letzten allegorischen Merkmal der Klugheit: das doppelte Gesicht. Das doppelte Gesicht ist hier kein Ausdruck für Zweideutigkeit. Ganz im Gegenteil, es stellt vielmehr die Fähigkeit eines klugen Menschen dar, der aus der Vergangenheit seine Lehren zieht, um seine Zukunft besser zu planen und sein Ziel zu erreichen.

Man könnte versucht sein, folgenden Ausspruch zu tun: Je wichtiger die Klugheit für eine Zeitepoche erscheint, desto mehr wird sie von der Mehrheit vernachlässigt oder verkannt. Es ist folglich höchste Zeit für uns, einen jugendlichen, begeisterten und grossherzigen Blick in die Zukunft zu werfen und gleichzeitig die durch Alter und Erfahrung gereifte Ernsthaftigkeit nicht ausser Acht zu lassen. Das ist ein hervorragendes Programm in einer Welt, die in ihrer Arroganz mit allen Traditionen brechen möchte und sich in einem Leben des Genusses verliert, das keine Zukunft kennt.

Die Klugheit bringt uns die Weisheit eines erfahrenen und gelehrten Menschen; gleichzeitig schenkt sie uns auch eine brennende und nie versiegende Grossherzigkeit im geistlichen Kampf! Wenn wir auch in schwierigen Zeiten leben, so soll uns das kein Anlass zur Traurigkeit oder Untätigkeit sein – im Gegenteil! Wir sind gewiss, dass es uns an Gottes Gnade nie fehlen wird, und darum führen wir das Werk Christi weiter, indem wir den Himmel zu erlangen suchen und möglichst viele Seelen ebenfalls dorthin führen.

Der heilige Thomas definiert die Klugheit als praktische Vernunft im Handeln und das einzige Mittel, das uns sicher und effizient zur Erlangung des Guten führt. Es bleibt nun an uns, diese guten Vorlagen in Marmor zu meisseln und in uns diese schöne Tugend aufleben zu lassen! 


Sursum corda – Empor die Herzen!

Vorwort des Distriktoberen

Liebe Gläubige, liebe Freunde und Wohltäter!

„Nehmt mich und werft mich ins Meer! Dann lässt das Meer von euch ab.“ Das Beispiel, das uns die Heilige Schrift von Jonas gibt, veranschaulicht aufs Beste den Heroismus, der sich für das Allgemeinwohl aufopfert. Das ist eine Verhaltensweise, die weder den Heiligen noch den Helden vorbehalten ist. Jonas selbst floh vor dem Ruf Gottes. Es handelt sich dabei um eine unerlässliche Bedingung für die Existenz des sozialen Lebens.

Das Allgemeinwohl steht über dem Wohl des Einzelnen. Damit lässt sich auf eine andere Art das Verhalten des Propheten Jonas zusammenfassen. Diese Betrachtungsweise könnte auf den ersten Blick völlig offensichtlich erscheinen. Aber davon sind wir weit entfernt. Es scheint mir nämlich notwendig in dieser Pandemie, die wir durchmachen, die „Nebeneffekte“ dieser Krise genauer zu betrachten. Diese „Nebeneffekte“ sind in Wirklichkeit gar nicht so nebensächlich, weil sie die fundamentalen Seiten des sozialen Lebens zunichte machten, nämlich das notwendige Vertrauen gegenüber unserem Nächsten und besonders gegenüber der Autorität.

Als menschliches Wesen liegt das Gemeinschaftsleben in unserer Natur. Für das Gemeinschaftsleben ist es von grundlegender Wichtigkeit, dass wir uns am Gemeinwohl orientieren. Dieser Hinweis ist umso wichtiger, als man sich oft die Frage stellt, wie man heute ein Leben in der Gesellschaft verwirklichen kann. Die Gesellschaftskrise führte dazu, dass wir weder in die Autoritäten noch in die Personen unserer Umgebung Vertrauen haben. Unsere Gesellschaften sind ihres Namens nicht mehr wert; vielmehr sind sie zu einem Aggregat von Individuen geworden, die ihr eigenes Wohl und ihren eigenen Nutzen suchen. Das ist der Triumph des Individualismus. 

Eine Familie entfaltet sich jedoch nur, wenn sie geeint ist, wenn jeder bereit ist, sich für das Wohl aller zu opfern. Ein blühendes Pfarreileben funktioniert nur, wenn jeder von dem Seinen gibt, ohne sich vor den Opfern zu scheuen, die damit verbunden sind, und wo jeder mehr daran denkt, zu geben als zu nehmen. 

Eine funktionierende Gesellschaft bedarf ebenfalls eines anderen Aspektes, der eng mit der Idee des Gemeinwohls verbunden ist: das Vertrauen in unseren Nächsten. Wenn es auch immer vertrauensunwürdige Personen gibt, so stützt sich die Gesellschaft trotzdem auf das gegenseitige Vertrauen. Eine Gesellschaft, in der jeder dem anderen oder den Autoritäten misstraut, geht zugrunde. Das ist die Situation, die sich aus der gegenwärtigen Pandemiekrise herauszukristallisieren droht. Die neuen Medien erzeugen und schüren ein allgemeines Misstrauen, das zur Quelle der Verwirrung wird. Wie soll man leben, wenn man plötzlich denkt, dass der Arzt eine Gefahr für uns ist? Darf man in dieser Pandemie­krise sein Vertrauen noch in einen Priester setzen, der uns trotz allem die Gnade vermittelt und uns zum Guten bewegt?

Der heilige Thomas von Aquin erteilte seinen Novizen eine lehrreiche Lektion, als diese ihm zum Scherz erzählten, dass sie einen fliegenden Ochsen sähen. Trotz dem Gelächter seiner Mitbrüder eilte er ans Fenster und erklärte: „Ich glaube lieber an einen fliegenden Ochsen als dass ein Mönch lügt.“ Über diese Anekdote hinaus und den wohlgemeinten Scherz, der uns zum Schmunzeln bringt, gibt uns der heilige Thomas eine herrliche Lektion über das Vertrauen in unseren Nächsten. 

Dieses Vertrauen muss begründet sein. Wir leben in einer Gesellschaft, wo man sich leicht ein gewisses Wissen oder besser gesagt, eine Überfülle an Informatio­nen aneignen kann. Leicht gewinnt man den Eindruck, alles zu wissen. Haben wir schon einmal darüber nachgedacht, wie wir das Internet und die sozialen Netzwerke nutzen? Wie viele Personen schenken heutzutage ihr völliges Vertrauen einem berühmten Unbekannten, der vor laufender Kamera sein Bestes gibt …, während sie die Gutgläubigkeit und Treue derjenigen, die ihnen während des ganzen Jahres hindurch helfen, in Zweifel ziehen? 

Wie leicht verfällt man darauf, Fachbereiche und Kompe­tenzen durcheinanderzubringen. Weil man sich einen Wissenschaftler auf YouTube angehört hat, ist man nicht selbst ein Wissenschaftler; weil man den Bericht eines Arztes gelesen hat, ist man nicht selbst Arzt. „Jeder übe sich in der Kunst, die er erlernt hat!“ Das ist die immer aktuelle Lektion, die uns ein Cicero erteilt. Das Internet gibt uns den Eindruck, alles zu wissen, während uns die Demut eines Sokrates mehr Not tut, der meinte: „Ich weiss, dass ich nichts weiss.“

Der Schuster bleibe bei seinen Leisten. Darum soll man den kompetenten Personen sein Vertrauen schenken. Ein Priester als solcher ist weder Arzt noch Psychologe noch Krisenmanager. Unsere Kompetenz liegt im geistlichen Bereich – das sind die Seelen. Natürlich kommt es vor, dass wir den Leuten in den verschiedensten Bereichen helfen, aber das ist nicht unsere eigentliche Aufgabe. Es ist zwecklos, wenn man von einem Priester erwartet, dass er auf alles eine Antwort weiss; es wäre gefährlich, wenn er sich um die geringsten Kleinigkeiten des Lebens eines Gläubigen kümmern würde! Das gilt auch für die Gläubigen: Jeder besitzt seine ihm eigenen Kompetenzen.

Die gute Ordnung besteht gerade darin, dass jeder an seinem Platz bleibt. Ich glaube, dass die durch die gesundheitliche Lage und Impfungen aufgeworfenen Probleme friedlicher gelöst werden könnten, wenn wir dieses Prinzip anwenden würden. Platon sagte, dass der Niedergang dort beginnt, wo der Schuster und der Bäcker die Arbeit des anderen ausführen. Es gibt nichts Neues unter der Sonne, auch in Zeiten von Corona!  

Im Grunde genommen sollten all diese verschiedenen Probleme von jemanden gelöst werden, der dazu befähigt ist, Ordnung in die Gesellschaft zu bringen – und das ist die Autorität! Die Autorität ist wie der Zement, auf dem sich eine solide Gesellschaft aufbauen lässt. Sie strebt nach dem Gemeinwohl und richtet alle ihre Aktivitäten auf diesen Zweck hin. Gewiss muss sie sich an die eigenen Grenzen halten; und man muss ihr den Gehorsam verweigern, wenn sie sich gegen das Gute wenden oder sich ausserhalb ihres Kompetenzbereiches aufhalten würde. Aber es gibt viele Vorgaben der Vorsicht, wo man ihr gehorchen und sie dementsprechend unterstützen muss. Im Gegenzug wird sie uns in der aktiven Suche nach dem Allgemeinwohl unterstützen.

Wenn wir gerade von der Autorität sprechen, so müssen wir oft feststellen, dass sie nicht immer auf der Höhe ihrer Aufgabe steht. Leicht lassen wir dann unsere Kritik über sie hergehen und stempeln sie als inkompetent ab. Vergessen wir nicht, dass der Träger einer Autorität nicht unbedingt die intelligenteste oder heiligste Person sein muss. Die Heilige Familie gibt uns hierin ein herrliches Beispiel, (auch wenn wir gerne die Heiligkeit und Intelligenz eines heiligen Josefs besässen …).

Das Problem dieser Krisenzeiten steckt sicher auch darin, dass wir Mängel vonseiten der Autoritäten bemerken und uns schliesslich dazu verleiten lassen, jegliche Autorität über den Haufen zu werfen. Wir dürfen unsere eigenen Stützpfeiler nicht zerstören: die Familie, die kleine Welt der Tradition. Wir müssen das Vertrauen zu unseren Mitmenschen wieder zu Ehren kommen lassen. Es ist traurig – und ich muss es leider in aller Offenheit sagen: Welche Persönlichkeit, welcher Priester, welcher Lehrer, ja, sogar welche Eltern dürfen noch etwas sagen, ohne dass der Angesprochene als ersten Reflex zuerst alles einmal in Frage stellt? 

Liebe Gläubige der Schweiz, wir haben wirklich seit Jahren alles daran gesetzt, um unsere Arbeit gut zu verrichten und das Werk, das andere begonnen haben, fortzusetzen. Deshalb wollen wir trotz aller Prüfungen, die wir durchmachen – und vielleicht sogar dank ihrer – unsere Bereitschaft für das Interesse des Allgemeinwohls verstärken. Arbeiten wir daran, mit Klugheit unser Vertrauen den Mitmenschen zu schenken und die Autoritäten, welche sich bemühen, die Gesellschaft zu ihrem Ziel zu führen, zu unterstützen.

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